Der junge syrische Straßenradsportler musste einen weiten Weg gehen, bis er seine Leidenschaft ohne Gefahren ausüben konnte. Zwischen Kriegstrümmern begann er mit dem Radsport, heute ist er dankbar für die Chancen die er in Deutschland bekommt. Dorthin ist er mit Leidenschaft, Wille und Überzeugung gekommen.
Ammar ist 1998 im syrischen Aleppo geboren. Durch seinen Onkel fand er die Liebe zum Radsport. Doch seine Eltern hatten große Bedenken in Anbetracht der schweren Verletzungen die sein Onkel bereits durch das Radfahren erlitten hatte. Daraufhin begann Ammar 2012 zuerst mit dem Triathlon. Bald merkte der ambitionierte Sportler aber, dass ihm die Trainingseinheiten auf dem Rad doch einfach am Meisten Spaß bereiteten. Den letzten Mut seiner Leidenschaft zu folgen, gab ihm schließlich 2013 ein Trainer, der ihn in einem Radstadion bei seinem Training beobachtete. Er bestärkte ihn und Ammar entschied sich von da an entgegen den Bedenken seiner Eltern ausschließlich für den Radsport.
Doch in Aleppo herrschte Bürgerkrieg und so war jedes Training das Ammar absolvierte eine Gefahr, der er sich jeden Tag wieder und wieder aussetzte. Auch ein richtiger Trainingsort war nicht einfach zu finden, in der Stadt in der bereits viele Gebäude zerbombt waren. Er trainierte schließlich in einem kleinen Stadion mit einer Strecke von 400 Meter Länge. Immer und immer wieder im Kreis. Bis zu 300 mal fuhr der junge Sportler diese Runde in einer Trainingseinheit.
Doch das Training auch unter diesen Bedingungen zahlte sich aus. Ende 2013 nach nur wenigen Monaten reinem Rad-Training gewann Ammar die Jugend Aleppo-Meisterschaften, welche von der Größenordnung her vergleichbar zu den Baden-Württembergischen Meisterschaften in Deutschland sind. Für den ehrgeizigen Sportler bereits nach einer so kurzen Trainingszeit ein riesen Erfolg. Daraufhin wurde er in das erste Team von Aleppo aufgenommen und bereits ein halbes Jahr später nahm er erfolgreich an den Syrischen Jugend-Straßenmeisterschaften teil.
“Ich erreichte den 5. Platz bei den syrischen Meisterschaften. Für mich ein riesen Erfolg und total überraschend für meinen Trainer und meine Familie nach nur einem Jahr Radtraining.”
Mit diesem Erfolg konnte er schließlich seine Eltern überzeugen. Von nun an unterstützten sie die Leidenschaft ihres ambitionierten Sohnes. Für ihn selbst bedeutete sein Ergebnis bei den Meisterschaften aber auch den Schritt dazu den Sport professioneller, noch intensiver und auf Ziele fokussiert auszuüben.
“Das war der Punkt an dem ich wusste, das ist mehr als ein Hobby für mich. Ich möchte wirklich etwas erreichen. Viele Träume und Ziele haben von da an mein Training bestimmt.”
Doch das noch höhere Trainingspensum und damit noch mehr Zeit im Radstadion bedeutete in einer Stadt die im Bürgerkrieg ist, noch mehr Zeit in der Ammar der Gefahr des Krieges ausgesetzt war. Familien, die ihre Häuser verloren hatten lebten in den Umkleidekabinen des Radstadions in dem er trainierte. Besonders ein spezieller Tag ist ihm zwischen Krieg und Training im Gedächtnis geblieben. Eine Bombe traf die Bahn im Stadion auf der der junge Radfahrer und ein Teamkollege gerade trainierten. Sein Kollege wurde verletzt, ihm selbst ging es weitestgehend gut und sie versuchten die verschütteten Menschen die auf den Tribünen gewesen waren zu befreien.
“Als ich an dem Abend nach Hause kam, war meine Kleidung voller Blut. Ein paar Tage später, war ich aber wieder im Stadion, habe die Bahn so gut es ging von Trümmern freigeräumt und bin auf mein Rad gestiegen.”
Aber während sein Radteam immer weiter auseinander fiel, die einen waren vor dem Krieg geflüchtet, andere hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert, wurde auch Ammars Familie klar, dass sie nicht länger in Syrien bleiben konnten. Ammar’s Vater brach im August 2014 auf für eine Zukunft für seine Familie. Das Ziel war Deutschland. Der große Traum seines Sohnes. Denn Deutschland ist die Heimat des Radrennfahrers Tony Martin. Er ist nicht nur mehrfacher Weltmeister, Olympia Silbermedaillen-Gewinner und Gewinner von 5 Etappen bei der Tour de France, sondern auch das große Vorbild des jungen syrischen Radfahrers.
Während sein Vater auf dem beschwerlichen Weg nach Deutschland war, floh Ammar mit seiner Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester nach Damaskus, wo die Lage etwas sicherer war als in Aleppo. Sein Fahrrad nahm er natürlich mit und so nahm er sein Training in Damaskus wieder auf. Doch war es zwar in der Stadt etwas sicherer, so waren die Möglichkeiten für ein Radtraining genauso begrenzt. Viele Straßen waren gesperrt und teilweise nicht befahrbar durch den Krieg der im Land herrschte. Schließlich fand Ammar eine brauchbare Straße von 300 Metern, die fortan seine Trainingsstrecke wurde.
“Rauf und runter. Rauf und runter. Das war schon ein bisschen langweilig. Aber ich hatte immer im Kopf, dass ich in diesem Jahr wieder an den syrischen Meisterschaften teilnehmen wollte.”
Diese beendete der Radsportler dann auf dem ersten Platz. Sein unermüdliches Training trotz den schwierigen Voraussetzungen hatte sich ausgezahlt. Der Sieg bei der Syrischen Juniorenmeisterschaft, für ihn sein größter Erfolg. Und dennoch gleichzeitig vorerst der Letzte. Denn die Familie hatte kein Geld mehr und Ammar musste sein Training hinten anstellen um Arbeiten zu gehen.
Doch sein Vater hatte es mittlerweile tatsächlich bis nach Deutschland geschafft. Über das Mittelmeer mit einem Luftboot, das letzte Stück bis zur Küste ist er geschwommen. Von Griechenland lief er zu Fuß bis nach Deutschland. Ein langer und gefährlicher Weg lagen hinter ihm. Doch er hatte sich gelohnt. Bald hatten Ammar, seine Mutter und seine Geschwister einen Termin bei der Botschaft im Libanon. In Syrien bleiben und dort zu warten war keine Option. Der junge Radfahrer war mittlerweile 17 Jahre alt. Er hatte Angst davor volljährig und ins Militär einberufen zu werden. Über den Libanon fliehen sie Ende 2015 in die Türkei. Im Februar 2016 dann endlich das Visum und der langersehnte Flug nach Deutschland.
Am 5. Februar 2016 trifft er endlich seinen Vater wieder. In Deutschland. Dabei hatte er nur ein Gepäckstück. Jeder durfte nur eines auf dem Flug mit sich nehmen. Ammar hatte am Flughafen aber einen Koffer mit all seinen Sachen, Klamotten und Erinnerungen dabei und sein Fahrrad.
“Ich hatte die Wahl zwischen meinem Koffer und meinem Fahrrad. Ich habe mich für mein Fahrrad entschieden. Ich hätte es nicht einfach im Krieg zurücklassen können.”
Sein Fahrrad hatte den Flug nach Deutschland nicht überstanden. Die Gabel war gebrochen und die Felgen beschädigt. Doch die riesige Leidenschaft die der heute 22 Jährige Radsportler aus Syrien zu seinem Sport entwickelt hat, konnte auch kein kaputtes Rennrad brechen.
Wo er heute steht und welche Chancen sich Ammar in seiner neuen Heimat boten, erfahrt ihr im zweiten Teil dieser ganz besonderen und bewegenden Geschichte über den jungen Sportler, dessen Träume größer sind als alle Herausforderungen die sich ihm stellen.
Autor
louisa
Autorin und Mitgründerin von Athlet.one
Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Spitzensport hat Louisa De Bellis den Durchblick in der Welt der Athlet:innen. Als ambitionierte Handballerin ist sie in der deutschen Sportlandschaft bestens vernetzt, führt Interviews mit Sportler:innen und teilt ihre Expertise auf Athlet.one!